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Das Storchennest

«Ein Haus für Kinder aus Naturbaustoffen»

Im sich gegenseitig bereichernden Dialog mit Maria Luisa und Heinz Nüesch von der Stiftung Spielraum-Lebensraum über Wahrnehmung von Kindern und deren Spielfreude stellte ich fest, dass wir drei in der Kindererziehung und Architektur eine ähnliche, wenn nicht sogar die gleiche Sprache sprechen. In der sehr intensiven Auseinandersetzung mit dem Projekt diskutierten wir viel über Menschsein, Haltungen, Werte, Architektur, Kunst- und Architekturgeschichte. Das Projekt Storchennest ist das Resultat steten Ringens, in dessen Prozess das Fachgebiet des Gegenübers immer respektiert wurde. Basierend auf einem grossen, tief verankerten Erfahrungsschatz in Kinderbetreuung fanden wir gemeinsam durch visionäres Denken, Offenheit für Neues und Interesse an unterschiedlichen Sichtweisen eine Antwort auf die Frage, wie eine innovative Stätte für Kleinkinderbetreuung in der heutigen Zeit und zukünftig aussehen könnte.

Einbettung

Das Storchennest steht in der ursprünglichen Werdenberger Rietlandschaft. Flache und beinahe unbebaute Wiesen prägen die nähere Umgebung. Der Blick schweift ungehindert bis zu den Bergketten des Werdenbergs und des Alpsteins. Die Rheinebene und die an den Himmel grenzende Kulisse der Hügel und Berge bilden zwei Linien: die horizontale Linie der Talfläche und die Gratlinie der vertikalen Bergkulisse.

Diese beiden Linien nehmen Einfluss auf die Architektur des Baus und bestimmen seine Form. Auffallend sind die über das ganze Anwesen verteilten Mauern mit ihren zur Ebene parallel verlaufenden Mauerkronen. Sie verbinden die Gebäude und grenzen das Grundstück ab. Die verschieden hohen Dachfirste hingegen lassen eine Umrisslinie erahnen, welche von den richtigen Standpunkten aus die Bergkulisse exakt nachzeichnet.

Wahrnehmung

Die Beschreibung der architektonischen Absichten im Bezug auf die Wahrnehmung von Raum und Ort nimmt eine zentrale Stellung ein. Es geht um das grundsätzliche Erleben von Architektur. Diese Betrachtungsweise des Entwurfes ist wichtig, weil sie Platz lässt für viele kleine, unscheinbare und verspielte Elemente, wodurch das Projekt erst zu einem Haus für kleine Kinder wird.

Während die Wiegestube als hoher, einfacher Körper den hintersten Punkt der Anlage besetzt, ordnet sich die Kinderstube ganz der Form des Aussenraumes unter. Mauern und die beiden Gebäude umringen Kiesplatz und Garten. Der Wilde Garten ist verborgen, halb umfriedet und direkt am Bach gelegen, er zeigt sich dem Besucher vorerst nur durch die über die Dächer ragenden Baumwipfel. Dem Garten entgegengestellt befindet sich der grosszügige Kiesplatz. Hier kommt man an, hier wird man empfangen.

Die Häuser stehen parallel zum Bach und schräg zur Strasse. Durch die entstehende Perspektive sind dieGebäudekörper für die Ankommenden kubisch fassbar. Die Nordfassade, der Strasse und Industrie zugewandt, ist geschlossen und nur vereinzelt von Öffnungen durchbrochen. Diese Fenster folgen scheinbar keiner Regel. Die Eingänge sind den ankommenden Besucherinnen und Besuchern abgewandt. Neugier und Bewegung machen die gesamte Anlage mit deren Verortung erfahrbar.

Zwei Häuser

Über gedeckte Vorbereiche und gedrungene Eingänge gelangt man in die hohen Garderobenräume. Durch die vielen Reihenfenster der bis anhin verborgenen Südfassade dringt viel Licht in den Raum. Bewusste Raumabfolgen und Durchblicke, welche den Aussenraum miteinbeziehen, strukturieren den Grundriss. Form und Ausstattung der Innenräume sind einfach gestaltet. Grosse, helle Räume wechseln sich mit niedrigen, kleinen und dunklen Räumen ab. Man spürt Weite und Enge. Licht und Schatten modellieren Raum und Kubatur gleichermassen. Die Konstruktion aus Stroh, Holz und Lehm macht die Masse der Wand haptisch spürbar und schafft ein angenehmes Raumklima.

Die beiden Häuser haben die gleichen Gestaltungselemente. Trotzdem unterscheiden sie sich wesentlich. Das Wiegestubenhaus für die Arbeit mit Eltern-Kind-Gruppen ist behütend. Jeder einzelne Raum steht für sich und ist stark auf dessen Mitte ausgerichtet. Der Spielraum hat keinen direkten Ausgang. Nur der Blick schweift hinausin die Landschaft. Der Raum hat zwei punktgespiegelte, tiefe Nischen. Die eine Nische befindet sich im Schatten, die zweite Nische ermöglicht einen Blick in den Wilden Garten.

Die Räume der Kinderstube, für Kinder ab drei Monaten bis zu vier Jahren, haben eine starke Verbindung zueinander, sowohl nach innen als auch nach aussen. Bereits in der Garderobe ist der Wilde Garten präsent. Im grossen Spielraum steigert sich der Bezug zum Aussenraum. Auch hier wird durch eine tiefe Nische der Blick in die Landschaft frei. Zwei Türen lassen bei entsprechendem Wetter zu, das Spielzimmer mit Einbezug des Wilden Gartens zu erweitern.

Achsen verbinden die Räume und führen durch das Gebäude. Folgt man diesen, entdeckt man zuhinterst einen kleinen Hof zum Ausruhen und Schlafen – der geheimste und intimste Ort im Storchennest.

Text: Jan Schmid

Bericht Holzbau

Die Grundidee, das Gebäude in Holz, Stroh und Lehm auszuführen, kam von der Bauherrschaft. Dieser Denkanstoss gab dem Architekten und uns als ausführende Firma eine gute Basis für eine nicht ganz konventionelle Bauweise. Als Konstruktion wählten wir den modernen Holzelementbau, um alle Vorteile der Vorfabrikation zu nutzen und so wurde der Entwurf des Projektes bereits in Anwendung der wichtigsten Grundregeln geplant.

Der Naturstoff Stroh lässt sich ausgezeichnet zu Isolationsmaterial verarbeiten. Dazu wurden 510 Kleinballen in Rahmen aus Brettschichtholz gepresst. Der Dämmwert erfüllt die heutigen Standards und ist zudem atmungsaktiv. Wir konnten die Elementproduktion der Strohwände effizient in wenigen Wochen umsetzen und in der vom Wetter geschützten Werkhalle 13 Lastwagenladungen mit Wand-, Boden- und Dachelementen vorfabrizieren.

Auf der Baustelle hievte der Kran dann Wand für Wand an ihren Bestimmungsort, wo jedes Element gesetzt, ausgerichtet und verschraubt wurde. Nach der Montage der Aussen- und Innenwände folgte das Anbringen der Bodenelemente. Diese wurden als Hohlkasten von uns im Werk vorgefertigt und vor Ort mit 10 Zentimetern Kies gefüllt, um den hohen Schallschutzanforderungen gerecht zu werden. Bei freien Spannweiten von bis zu 6.5 Metern und einer Breite von 2 Metern, wogen die einzelnen Bodenteile 2.5 Tonnen. Als Dämmung der Dachelemente verwendeten wir Altpapier respektive Zellulose. Bereits im Werk wurde raumseitig eine fertig geschliffene Fichtenplatte montiert.

Durch die akribische Planung der Detaillösungen und die Vorfabrikation im Werk konnte auf der Baustelle enorm viel Zeit eingespart werden. Die Faszination dieses Projektes liegt für mich hauptsächlich in der Einfachheit des gesamten Wandaufbaus mit nur drei Schichten aus Holz, Stroh und Lehm.

Text: Lukas Gantenbein

Bericht Sumpfkalk und Lehm

Beim Projekt Storchennest stehen Gesundheit und Nachhaltigkeit an erster Stelle, weshalb auch für die Oberflächen natürliche Baustoffe gewählt wurden. Als langfristiger Schutz der Fassade wurde ein Sumpfkalkputz in fünf Schichten aufgetragen, der das Gebäude erstrahlen lässt.

Beim Innenausbau setzten wir konsequent auf die Qualitäten von Lehm, denn er wirkt antistatisch, antiallergisch, schimmelhemmend, hygienisch, atmungsaktiv, dampfdiffussionsoffen und reguliert das Raumklima sowie die Luftfeuchtigkeit. Diese Eigenschaften sorgen für eine angenehme Aufenthaltsqualität bei den Kindern und Betreuerinnen und schaffen eine besondere Atmosphäre.

Zu den speziell von unserer Firma entwickelten und ausgeführten Oberflächen zählen neben den Akustikdecken aus Lehm-Kalk und den Farbanstrichen aus Lehm-Kasein für Türen, Zargen und Einbauschränke auch die pigmentierten Kalkböden. Dieser Untergrund ist sehr angenehm für blosse Kinderfüsschen, denn er ist nicht ganz eben und bietet eine schöne sensorische Erfahrung. Neben seiner einzigartigen Haptik ist er auch rutschfest, lichtecht, antistatisch, antiallergisch und hygienisch.

Ausserdem dienen die Lehm- und Kalkputze der natürlichen Strahlenabschirmung einer nahen Mobilfunkantenne. Bei regelmässigen Messungen wurde je nach Raum eine Reduktion um bis zu 80% dokumentiert. Und das Farbraumspektrum der Lehmdecorputze ist mit 147 möglichen Varianten sehr vielseitig, wobei all diese Naturtöne bestens miteinander kombinierbar sind.

Text: Andreas Matt

Die Architekt:

Jan Schmid

Greithstrasse 2, 9000 St. Gallen

Der Holzbauer:

Gantenbein Holzbau

Vorderdorfstrasse 12, 9472 Grabs

www.gantenbein-holzbau.ch

Der Lehmbauer:

Matt Naturbaustoffe

Spidach 18, FL-9491 Ruggell

http://www.naturbaustoffe.li

Die Bauherren:

Stiftung Spielraum-Lebensraum

Storchennest

Mühlbachweg 14, 9472 Grabs

www.storchennest.ch

Bauarbeiten (Bilder: Jan Schmid)
Aussenansicht (Bilder: Jan Schmid)
Innenräume (Bilder: Jan Schmid)